IAA in Frankfurt: Pressetage als große Marketing-Show und Selbstinszenierung einer Branche

Nachlese: Wohin entwickelt sich die Autoindustrie und welchen Platz weist man den Journalisten dabei zu?

Bevor alle zwei Jahre die IAA in Frankfurt zunächst für die Fachbesucher und dann für das Publikum ihre Pforten öffnet, will die Industrie die Medien über ihre neuen Produkte informierten. Obwohl: WILL sie wirklich? Automobilmessen haben sich in den letzten Jahren zu riesigen Marketing-Shows entwickelt. Das gilt nicht nur für die IAA in Frankfurt (Pkw) oder Hannover (Nutzfahrzeuge), sondern auch für die AMI (Automobil International) in Leipzig, die Motor-Show in Essen, den Genfer Auto-Salon oder die Mondial de l’Automobile in Paris (dem Rest der Welt schenke ich mir hier mal). Auch die Pressetage werden dabei mehr und mehr zu einer Marketing-Veranstaltung, bei der die Show anstelle der Information im Vordergrund steht. Die Journalisten – so scheint es – braucht man da nur noch als Hintergrundkulisse für die Show und als Hofberichterstatter der großen Selbstinszenierung.

Erstens: Ein Armutszeugnis!
Ein Kollege hat nach seinem Besuch des Genfer Auto-Salons (und nicht einmal als erster) darüber geschrieben, nachdem er sich wahnsinnig darüber geärgert hatte. Ein Armutszeugnis hat er – völlig zu Recht! – der Branche dafür ausgestellt: Einzelne Autohersteller und mitunter ganze Automobilkonzerne gehen mittlerweile dazu über, anstelle einer Pressemappe (in welcher Form auch immer) ein Pappkärtchen mit Link auf die Presse-Webseite überreichen zu wollen. „Bitte laden Sie sich die Pressemappe herunter“, heißt es dann dazu. Nicht, dass die Pressemappe dann in einem Rutsch runter zu laden ginge. Nein, man muss sich Texte und Fotos zusammensuchen.

Das kostet Zeit! Die Zeit des Journalisten – und das nicht einmal, sondern für jeden Hersteller oder Automobilzulieferer, der sich die Mühe gespart hat, ordentliche Pressematerialien zusammenzustellen und im Idealfall auf USB-Stick zu überreichen. Der Stick braucht ja nicht einmal besonders aufwändig gestaltet zu sein: Texte und Fotos drauf, ggf. noch Filmmaterial – und gut ist! Zugegeben: Texte auf Papier sind besser zu lesen, aber will ich mich dafür auf einer Messe wirklich totschleppen? Ich für meinen Teil lieber nicht.

Der USB-Stick hat die CD oder DVD mittlerweile als ideales Transportmedium abgelöst. Nicht jeder Rechner hat heutzutage noch ein optisches Laufwerk, einen USB-Anschluss hingegen schon. Das handlichste Format ist definitiv nicht die Pappkarte, sondern der USB-Stick, weil man sofort alles zur Hand hat und das Material am einfachsten weiter zu verarbeiten und zu archivieren ist. Die Pappkarte ist einfach nur billig!

Das wär’s doch: Rechnung an die Presseabteilung
Wer, weil er tagesaktuell berichtet bzw. als Freier Berichte tagesaktuell anbietet, abends im Hotel oder auf dem Campingplatz Neuheiten der Messe verarbeiten will, kann mit Downloads angesichts langsamer Verbindungen und begrenzter Datenmengen nicht viel anfangen. Der ist dann froh, wenn er das Material verarbeiten kann, was er bereits hat!

Das Download-Angebot der Hersteller auf der Messe? Schön und gut, aber die Zeit ist knapp: So ein Pressetag dauert auch nicht ewig. Und wohin mit dem Zeug? Sollen Journalisten jetzt ihre eigenen USB-Sticks auch noch in Mengen zur großen Automesse mitbringen, um alles vor Ort runterzuladen zu können? Durch die Hallen laufen und gucken ist dann kaum noch möglich … Wozu fahre ich dann eigentlich zu dieser Messe? Vor dem Rechner sitzen und runterladen kann ich auch zu Hause!

Den Download nach der Rückkehr im Büro machen? Zu zeitaufwändig! Ein Kollege fragte nicht zu Unrecht, ob er der Presseabteilung eine Rechnung für die aufgewendete Arbeitszeit schicken dürfe. Sollte man vielleicht wirklich machen: Da die Presseabteilung den Aufwand, ordentliches Pressematerial zusammenzustellen, an die Journalisten „auslagern“, sollten sie dafür auch bezahlen!

Beim Messeauftritt wird auf die Brause gehauen, wie es größer nicht mehr geht: Physikalisch setzen nur die Hallenabmessungen Grenzen – und wenn die zu eng sind, setzt man seinen eigenen Pavillon auf die Freifläche davor. Gespart wird dann primär bei den Medien und bei ordentlich zusammengestelltem Arbeitsmaterial für die Presse. Statt Informationen (in welcher physikalischen Form auch immer) gibt es bald nur noch Pappkarten mit einem Link. Das gilt natürlich nicht für alle, aber es hat schon Ausmaße angenommen, wo man als Journalist sagen muss: So nicht!

Pressemappe der IAA 2013 in FrankfurtAuch nicht besser: Wo früher die Hülle der Pressemappe teurer war als der Inhalt, muss heute ein schlichtes Booklet (Paperback mit den Maßen 12,5 x 14 Zentimeter!) herhalten: „Fotos können Sie sich von der Webseite runterladen“, sagte die Messehostess bei dem Versuch, dem Journalisten ein Pappkärtchen in die Hand zu gegen, das dieser dankend ablehnte. Ein Blick online zeigte auch hier einmal mehr, dass man jede einzelne Datei hätte einzeln runterladen müssen – und das auch erst, nachdem man für jeden Text auf einer weiteren Seite gewesen ist … Schenk ich mir: Langeweile (oder Zeit zuviel) habe ich nicht. Ex und hopp halt! Nichts fürs Archiv und damit schnell vergessen.

Außerdem: Man will nicht nach der Rückkehr von der Messe Tage damit verbringen, sich die relevanten Informationen endlos zusammenzusuchen. Es wären mehr als ein Dutzend Pappkärtchen mit Links gewesen, die man hätte mit nach Hause bringen können. Ich habe sie lieber gleich dankend abgelehnt!

Dabei stehen evtl. vorhandenen Warenkörben oder Sammelmappen in den Pressedatenbanken bei manchen Hersteller auch Downloadbegrenzungen einer einfachen Handhabung entgegen. Und die werden nicht etwa angezeigt, wenn die Grenze erreicht ist, sondern erst dann, wenn man die übervolle Mappe runterladen will.

Meist muss man jeden Text und jedes Foto einzeln anfassen, vom damit verbundenen Zeitaufwand reden wir lieber gar nicht. Die Möglichkeit, die Toyota in seinen Pressedatenbanken für die Marken Toyota und Lexus bietet, die gesamte Pressemappe in einem Rutsch runterzuladen, bietet sonst keiner.

Angesichts dieser mangelhaften Pressearbeit sollten sich manche Automobilhersteller auch einfach mal fragen, warum sie in den Medien und in der Öffentlichkeit kaum noch stattfinden. Vielleicht hat das ja seinen Grund!

Zweitens: Pressemappe erst nach der Pressekonferenz
Pressekonferenzen werden immer größer und lauter inszeniert. Sie zielen mittlerweile mehr auf den Show-Effekt als auf die Verkündung von Fakten. Man will beeindrucken! Kann man sich als Journalist antun, muss man aber nicht. Auch Pressekonferenzen, die eher wirtschaftslastig sind, wo den Fachjournalisten eher die Technik interessiert: kein Muss. Alle Pressekonferenzen kann auf der IAA ohnehin niemand besuchen: dafür bräuchte man hin und wieder einen Beamer, der einen von der einen Seite des Messegeländes zur anderen bringt. Im Idealfall pickt man sich im Vorfeld ein paar raus, die man besuchen will und gut ist! Zumal: wer von einer Pressekonferenz zur nächsten hetzt, hat nicht die Zeit, sich irgend etwas anzusehen. Für bloße Show muss ich aber nicht nach Frankfurt fahren.

Wer sich also dranmacht, die Messe systematisch abzugehen, um möglichst effektiv mit seiner Zeit und dem Wohlergehen seiner Füße umzugehen, kriegt reichlich Steine in den Weg gelegt: „Nein, die Pressemappe gibt es erst nach der Pressekonferenz“, heißt es dann. Wenn man Pech hat, zieht sich das fast die ganze Halle durch. Muss man also, wenn man alles durchhat, noch einmal zurück. Blöd nur, wenn man dann später gesagt bekommt: „Alles weg. Mit einem solchen Ansturm haben wir gar nicht gerechnet.“ Passierte diesmal (!) nicht, aber der Spruch ist bekannt ;-).

Eher zum Schmunzeln war die Episode, die man bei den Chinesen in Halle 3.1 erleben durfte. Mit unterschiedlichsten Fahrzeugen am Stand schienen sie gut aufgestellt, waren aber ganz ohne Presseinformationen … und ohne Ahnung: Man musste den Verantwortlichen erst mal erklären, was Presseinformationen sind und was Journalisten haben wollen. Morgen habe man Informationen da, wurde dann – knapp eine Stunde nach der Pressekonferenz übrigens – den neugierigen Journalisten erklärt. Überprüft haben wir das am nächsten Tag aber nicht mehr. 2011 hatte es bei diesem Autohersteller immerhin eine Pressemitteilung am Messestand gegeben – in Chinesisch. Zielgruppe dürfte aber auch hier eher weniger die europäische Presse gewesen sein … :-(. So wird das nix mit einem erfolgreichen Marktstart in Deutschland!

Drittens: Hinz und Kunz auf den Pressetagen
Die Pressetage könnte man ja fast abschaffen. Dass dort nicht ausschließlich Journalisten und Medienvertreter rumlaufen, ist schon lange bekannt. Aber dass mittlerweile JEDER schon zu Pressetagen auf die Messe kommt – und das auch von der Industrie bzw. den Medien sogar öffentlich forciert wird –, verbessert das Arbeitsumfeld auch nicht gerade. Drei Beispiele dafür wurden mir per eMail zugesandt.

Ein Kollege gab schon Ende August zu verstehen: „Das ist eine Einladung für alle SEAT-Besitzer: ‚Sie können life dabei sein – als unser VIP-Reporter. Bereits am ersten Pressetag sind Sie vor Ort, mischen sich unter die Journalisten und erleben die Premiere unseres neuen Kombis direkt aus der ersten Reihe. Hotelübernachtung, An- und Abreise, Eintritt, Verpflegung, selbst Ihr Arbeitsgerät, Ihre Digitalkamera, ist inklusive. Bewerben Sie sich jetzt. Teilnahmeschluss ist der 01. September.’ Zusätzlich verlost SEAT IAA-Tickets: 12 x 2 Fachbesucher-Tickets auf Facebook und 3 x 2 Fachbesucher-Tickets auf Twitter.“

Ein anderer Kollege schrieb am Tag vor dem ersten Pressetag: „Ohne Akkreditierung … kannst es ja mal beim Radio versuchen – hr3 verlost (!) Pressekarten, morgen ab 6h im Programm … Und Ferrari gibt VIP-Einladungen für morgen an Kunden raus, incl. Shuttleservice – noch Fragen?!“
Keine Fragen: Da fällt einem nichts mehr zu ein!

Fazit
Die Industrie – vor allem die Automobilhersteller – inszenieren sich immer größer, immer prächtiger. Die Zulieferer – das Salz in der Suppe – ziehen sich immer weiter zurück: Manch einer, der früher mit einen großen eigenen Stand vor Ort war, versteckt sich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes auf einem Gemeinschaftsstand, der nicht wirklich in Details gehen kann. Eine gute Präsentation eigener Produkte? Fehlanzeige!

An den Ständen der Automobilhersteller läuft die große Show – nicht nur während der Publikumstage, sondern auch auf den Pressetagen und sogar auf der Pressekonferenz. Laute Inszenierung und Marketing-Sprüche statt relevanten Fakten zu den Fahrzeugen. Der Journalist ist nur noch Staffage bei der großen Show und bestenfalls als Hofberichterstatter gefragt, aber nicht mehr als „Kunde“, der eine berechtigte „Dienstleistung“ (eine Presseinformation, die diesen Namen verdient) abfragt und in angemessener Form erhalten sollte.

„Laden Sie sich das Material doch bitte von unserer Webseite!“? Wenn man die Journalisten auf der Messe nicht mehr haben will, darf man sich nicht wundern, wenn es immer weniger werden. So leer war es in meinen jetzt sechzehn Jahren in Branche auf einer Pkw-IAA an den Pressetagen noch nie!
Und wer meint, sich das Pressematerial im wahrsten Sinne des Worten „sparen“ zu können, darf sich auch nicht wundern, wenn sich Journalisten ihrerseits die Kosten für den Messebesuch sparen!

© 2013 Petra Grünendahl

Über Petra Grünendahl

"Mich kann man nicht beschreiben, mich muss man erleben ;-)" . . . . . . . . . . . . Freie Journalistin aus Duisburg (Ruhrgebiet, Deutschland). . . . . . . . . . . . . . . . . IN*TEAM Redaktionsbüro Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auto-Testberichte, Verkehrssicherheit, Binnenschifffahrt & Logistik, . . . . . . . Wirtschaft & Verbraucherthemen und vieles mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Presse- & Öffentlichkeitsarbeit, Strategien & Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Foto: Petra Grünendahl)
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3 Antworten zu IAA in Frankfurt: Pressetage als große Marketing-Show und Selbstinszenierung einer Branche

  1. Name (erforderlich) schreibt:

    *zustimmend-nick* – und auch bei den Presseshuttles wird von Jahr zu Jahr die Nutzbarkeit dem Effekt geopfert: Warum gibt’s fast keine Amperas als Taxen? Nicht nur aus Kosten, sondern auch aufgrund der nur marginal vorhandenen Kopffreiheit hinten…

    Vom i3 rede ich erst garnicht – schickes Teil, aber in diesem Einsatz unpraktisch.

    Der Mini war cool, und hatte auch (gegen andere) relativ Platz, wenn auch nur mit einem Mitfahrer 🙂

    Aber nicht nur die nicht (oder nur in Glueckskeksdownloadzettelchenform) vorhandenen Pressemappen sind nervig – es gibt Hersteller, die lang und breit ihre Termine ausdehnen, um auch ja jedes Details der Quartalszahl III darzustellen – sorry, wer die Zahlen en detail braucht, kann die auch in der Diskussion nach der PK oder aus der Pressemappe (ach, so dreht sich der Kreis) holen, da muss nicht alles laaang und breit runtergebetet werden!

    Es gibt so viele Punkte, die in Frankfurt (auch und gerade gegen andere Messen) organisatorisch maximal suboptimal sind, auch seitens der Messe selber – nicht nur vom Veranstalter VdA. Da denken schon mehrere Kollegen (ich auch) daran, sich in 2015 ein Alternativprogramm zu planen – der Messestress ist jedenfalls irgendwann zuviel!

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